Werden wir in Zukunft mit personenbezogene Daten handeln?

Im Jahr 2000, vier Jahre vor der Gründung von Facebook und sieben Jahre bevor das erste iPhone auf den Markt kam, schrieb Chris Downs einen Brief an alle Unternehmen und Institutionen, mit denen er Verträge abgeschlossen hatte. Er bat sie, ihm alle Informationen, die sie über ihn besaßen, auszuhändigen. Nachdem er mehrere Monate lang Antworten von Banken, Versicherern, Kreditgebern, Gas- und Stromversorgern, Mobilfunkbetreibern und einem Supermarkt mit einem Treueprogramm eingeholt hatte, sammelten sich 800 Seiten Daten auf seinem Schreibtisch. Als er diese Daten sortiert und in ein klares Format übertragen hatte, sah er vor sich eine genaue Aufzeichnung seines Lebens. Er sah seinen sich ändernden Lebensstil, die Reiserouten seiner Ferien und Geschäftsreisen, seine Berufskarriere und seine Essgewohnheiten, Arztbesuche und eine Datenbank mit allen Einkäufen, die er getätigt hatte. Chris entschied, diesen Plan seines Lebens bei eBay zu versteigern. Er erhielt 150£ dafür. Achtzehn Jahre später ist Chris Downs einer der Pioniere der Personal Data Economy und sein etwas verrücktes Experiment ist zu einem globalen Phänomen geworden. Es ist durchaus möglich, dass es der Anstoss sein wird, der die Art und Weise verändert, wie wir im Alltag funktionieren, wie wir mit Dienstleistern kommunizieren, wie wir einkaufen und wie und was wir mit unseren Mitmenschen teilen.

Personenbezogene Daten und ihre Möglichkeiten

Die Idee hinter der Personal Data Economy ist einfach: Einzelpersonen sollten die Möglichkeit haben, die Kontrolle über ihre personenbezogenen Daten zu übernehmen, sie nach eigenem Ermessen zu teilen und von ihrer Nutzung zu profitieren. Natürlich ist es keineswegs einfach, diese Idee in die Praxis umzusetzen. Obwohl eine relativ kleine Anzahl von Unternehmen Daten über Chris Downs hielt, umfassten die totale Menge doch über 800 Druckseiten. Heute, obwohl wir uns dessen oft nicht einmal bewusst sind, generieren wir fast pausenlos Daten. Jedes Mal, wenn wir eine Website besuchen und der Erfassung von Cookies zustimmen, jedes Mal, wenn wir eine App herunterladen, jedes Mal, wenn wir uns bei Facebook oder Instagram anmelden, mit jedem Tweet und Passwort, das in Google eingegeben wird, und jedem Schritt, den wir mit Wi-Fi und GPS auf unseren Telefonen unternehmen, werden immer mehr persönliche Daten generiert.

Wie personenbezogene Daten verwendet (und missbraucht) werden, zeigte der jüngste Skandal um Cambridge Analytica. Der Firma wird vorgeworfen, Data Mining betrieben zu haben, um wichtige Ereignisse wie das Brexit-Referendum und die Präsidentschaftswahlen in den USA zu beeinflussen. Unabhängig von der Beteiligung des Unternehmens zeigte ihre eigene Präsentation auf dem Concordia 2016-Gipfel, wie unglaublich präzise Daten durch die Kombination scheinbar trivialer Informationen gewonnen werden können. Cambridge Analytica und andere Unternehmen, die sich mit Data Mining beschäftigen, behaupten, dass sie beispielsweise einen Facebook-Nutzer besser kennen als ihre Kollegen, nachdem sie nur 70 Likes analysiert haben. Mit 150 Likes verraten wir den Analysten mehr als unseren Eltern; nach 300 Likes wissen die Analysten mehr über uns als unser Partner. Und das ist nicht nur bei Facebook der Fall. Aus der enormen Datenmenge, die wir im Internet hinterlassen, kann spezialisierte Software mit hoher Präzision praktisch alles über uns herausfinden: unsere Interessen, Präferenzen, sexuelle Orientierung, Intelligenz. Es analysiert die Themen, die uns beschäftigen und wie wir darauf reagieren, was uns beunruhigt und natürlich, was wir kaufen, wie wir unsere Freizeit gestalten, welche Medikamente wir verwenden und welche Art von Lebensstil wir haben.

Wie viel Daten kosten

Wie viel Geld genau im Handel mit personenbezogenen Daten steckt, lässt sich nur schätzen. So kam das Data Driven Marketing Institute beispielsweise durch die Analyse der Jahresabschlüsse von Facebook und anderen großen Werbevermarktern zum Schluss, dass Werbung, die auf der Grundlage der persönlichen Daten eines durchschnittlichen Internetnutzers erfolgt, rund 60’00 US-Dollar generiert. Mit geschätzten 3,5 Milliarden aktiven Nutzern beträgt der Gesamtwert des Marktes etwa 210 Milliarden Dollar. Experten sind sich einig, dass diese Zahl weiter steigen wird, wobei niemand das genaue Ausmaß vorhersagen kann, da wir derzeit nur mit Schätzungen arbeiten. Der heutige Markt funktioniert nicht mit den Daten einzelner Menschen, sondern mit riesigen Mengen von Tausenden von mehr oder weniger anonymen Nutzern, für welche die Zahlungsbereitschaft relativ gering ist. Allgemeine Informationen wie Name, Alter, Geschlecht und Wohnort sind sehr günstig und kosten nur etwa 0.0007 US-Dollar pro Dateneinheit. Umgekehrt sind die Preise für Daten über die Konsumgeschichte und persönliche Interessen höher, aber nicht exorbitant. So kostet beispielsweise eine Datenbank mit den Namen von Patienten, die an einer bestimmten Krankheit leiden, rund 0.30 US-Dollar pro Name; es wird geschätzt, dass Werbetreibende in lukrativen Bereichen wie dem Fahrzeugverkauf und der Reisebranche etwa 2.00 US-Dollar für ein Set mit 1’000 Personen bezahlen. Allerdings können diese Datensätze eine große Anzahl von falschen oder unvollständigen Informationen enthalten, die die Zuverlässigkeit und damit den tatsächlichen Wert der Daten beeinträchtigen. Wie Nathan Eagle, ein ehemaliger Entwickler von mobilen Technologien, es ausdrückte: “Individuen, die das Internet nutzen, stehen an der untersten Stelle der Nahrungskette in der Data Economy.”  Was könnte diese Situation ändern? Zum Beispiel die Möglichkeit, für den Zugang zu unseren persönlichen Daten bezahlt zu werden, anstatt sie kostenlos weiterzugeben.

PIMS

Die Idee, den Zugang zu personenbezogenen Daten zu verkaufen, ist schon lange unter uns, aber bis vor kurzem blieb sie auf der Ebene der Visionen und Konzepte. Dank der Fortschritte bei den Anwendungstechnologien, der Geschwindigkeit der Internetverbindung und gesetzlicher Massnahmen wie GDPR haben wir heute jedoch die Möglichkeit, unsere Daten effektiv zu schützen, zu kategorisieren und zu teilen. Aus diesem vielversprechenden Bereich sind eine Reihe von Projekten entstanden, die sich auf die Verwaltung personenbezogener Daten konzentrieren. Diese Anwendungen werden normalerweise unter dem Begriff Personal Information Management Services (PIMS) zusammengefasst.

Ein Beispiel für ein PIMS ist VETRI, eine Anwendung, die aus einem Daten-Wallet und einem Marktplatz besteht. In der Daten-Wallet können Nutzer ihre personenbezogenen Daten speichern und verwalten. Der Marktplatz ermöglicht es ihnen, den Zugang zu

ihren anonymisierten Daten mit Forschern, Unternehmen oder Vermarkter zu teilen. Als alleiniger Eigentümer ihrer Daten entscheiden die Nutzer, wer diese zu welchem Zweck verwenden darf. Die Nutzer profitieren vom Marktplatz auf zwei Arten: einerseits durch relevantere Werbung und andererseits durch die Entlohnung für ihre Daten in der Form von VLD Tokens oder Rabatten auf Produkte. Forscher aus verschiedensten Bereichen – vom Gesundheitswesen bis Marketing – können den VETRI Marktplatz benutzen, um direkten Zugang zu ausgewählten Personengruppen zu erhalten.

Schliesslich werden die Nutzer in der Lage sein, ihre verifizierte VETRI-Identität für das Login mit anderen Online-Diensten zu nutzen. Weitere Anwendungen sind digitale KYC Prozesse oder Versicherungspolicen, basierend auf verifizierten persönlichen Daten.

Wir bei VETRI glauben, dass verifizierbare Daten einen höheren Wert haben als die derzeit auf dem Markt verfügbaren Daten. Deshalb ist zu erwarten, dass VETRI Nutzer deutlich höhere Preise für den Austausch von Erkenntnissen über ihre Daten erzielen können.

PIMS ermöglicht es den Nutzern nicht nur, Geld zu verdienen, sondern ermöglicht es Banken, Versicherungen, etc. die Verwaltung einer eigenen Datenbank zu umgehen.

Diese Datenbanken sind heute eine Quelle grosser Ineffizienz, da sie oftmals mit Doppeleinträgen und veralteten Daten gefüllt sind. Das Beratungsunternehmen BCG veröffentlichte eine Analyse, wonach die Verwendung einer geteilten Datenbank unter Krankenversicherungsnehmer zu Einsparungen von 700 Milliarden Dollar allein in den USA führen würde (ca. 30% der Kosten für die Verwaltung des Krankenversicherungssystems). Gleichzeitig würde es den gesamten Prozess effizienter, personalisierter und für alle Beteiligten vorteilhafter machen.

Bereitschaft zu teilen

Derzeit steigert sich der Wert grosser Unternehmen wie Apple, Facebook und Google basierend auf der immer grösser werdenden Menge an persönlichen Daten, welche sie sammeln. Wenn jedoch einzelne Benutzer beginnen, die Verantwortung für ihre Daten zu übernehmen, kann sich diese Situation schnell ändern. Grundvoraussetzung für eine solche Verschiebung ist die Bereitschaft zum Datenaustausch. Ist das realistisch? Es scheint, dass es das ist. Laut der Agentur SAS und Analysten der Future Foundation sind beispielsweise bis zu 69% der Millennials (d.h. Menschen im Alter von 16-34 Jahren) bereit, ihre personenbezogenen Daten weiterzugeben, wenn der Verkauf ihnen einen tatsächlichen Nutzen bringen würde. 67% von ihnen würden Daten im Gesundheitswesen, 57% mit Finanzdienstleistern und 50% mit dem öffentlichen Sektor teilen, während 45% ihre Daten an Energieversorger, 32% an Detailhändler und 28% an die Medien weitergeben würden. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann der Einzelne in naher Zukunft auf dem Informationsmarkt ebenso wichtig werden wie die Technologieriesen.